Harry und Hugo – Wie dynamisch sind wir noch?

„Ziemlich sprunghaft, dieser Trump! “ Harry sitzt wieder am Fenster und schaut auf den Mittagsverkehr an der Heidenaukreuzung in Tostedt. Diesmal ist Hugo spät dran, dabei sollte er doch diesmal einen ausgeben.

Mit einem leicht quälenden Gesichtsausdruck lässt sich Hugo in den Sessel fallen mit der Bemerkung: Wenn ich noch so springen könnte, wie er seine Positionen wechselt, müsste ich nicht dauernd zum Orthopäden.

Harry schaut auf seinen Bruder und verkneift sich eine Bemerkung über dessen Bauchansatz. Dann schaut er auf sein Stück Apfelkuchen und denkt, ich sollte auch besser auf mich aufpassen. Aber der Kuchen zum Kaffee, wie soll ich da nein sagen?

Beide schauen auf den Verkehr. Es ist Frühsommer und die Motorräder sind wieder unterwegs und sie geben gerne noch einmal richtig Gas, wenn sie die Ampel hinter sich haben.

Ist Dir eigentlich schon aufgefallen, dass die Motorradfahrer von heute eher unserer Generation entstammen, Hugo?

Ich weiß zwar nicht, ob Du das statistisch untermauern kannst. Aber daran könnte schuld sein, dass die Führerscheine heute verdammt teuer und die Maschinen auch nicht preiswerter geworden sind, Harry!

Ja, vielleicht liegt es daran oder es ist schlicht ein ökologischer Fehlschluss.

Soll heißen?

Na, hier gab es früher schon einen Motorclub und die sind jetzt alle älter geworden und einige sitzen immer noch auf ihren Maschinen und die sehe ich daher öfter als junge Leute auf solchen Dingern. Also, meine spezielle Umwelt präferiert alte Motorbiker, das nennt man dann ökologischen Fehlschluss, wenn es ingesamt nicht so sein sollte.

Da habe ich ja dann mal wieder was gelernt! Aber zurück zu Trump. Der bringt, wie auch immer, doch verdammt viel Dynamik in die Welt und in die USA, und ist das nicht auch längst überfällig gewesen für unsere westlichen Gesellschaften?

Es ist nur die Frage, ob diese Dynamik produktiv ist, mir erscheint sie eher destruktiv in jeder Hinsicht. Auf der anderen Seite, ich kann mich noch gut daran erinnern, wie vor gut zwanzig oder dreißig Jahren das Gespenst des demografischen Wandels an die Wand gemalt wurde. Deutschland quasi als aussterbendes Land gesehen wurde. Und damit verbunden war häufig die Vorstellung eines dahinsiechenden sklerotischen Landes ohne Dynamik.

Hat sich daran denn etwas geändert, Harry?

Sicher, und nicht nur durch die Migration des Jahres 2015. Wir haben durch die Zuwanderung die Bevölkerungszahl in Deutschland zumindest stabil halten können, wenn nicht sogar etwas gesteigert, Hugo. Aber wir kommen nicht daran vorbei, dass die Dominanz der Boomer im Rentenalter unsere Gesellschaft nicht dynamisieren wird. Sie verfügen zwar über viel Erfahrung aus ihren Berufsjahren, aber wozu ist die denn noch nütze, wenn die KI durch die Berufsfelder rauscht, wie die Axt durch den Wald?

Also macht KI unsere Gesellschaft dynamischer?

Sie stellt vermutlich vieles auf den Kopf und wenn Erfahrung zu etwas nütze ist, dann dafür einen kühlen Kopf zu behalten. Oder, wie eine gute alte Kinderregel sagt, man muss nicht über jedes Stöckchen springen. Daher gehe ich davon aus, dass es bald sehr viel mehr sog. Ungleichzeitigkeiten geben wird in den deutschen Kommunen und Städten. Dort, wo es der Rechten, in welcher Ausprägung auch immer, gelingt, die Mehrheit mittels der Alten zu bekommen, werden nicht alle Dynamiken der KI Fuß fassen dürfen. In Städten mit großen progressiv gestimmten Wählergruppen wird es einen Kulturkampf zwischen Naturschützern und Fortschrittsanhängern geben, der je unterschiedlich ausgehen kann. Dann gibt es in der einen Kommune eine smarte Verkehrsführung, in der anderen schalten und walten die Ampeln nach alter festgefügter Weise. Und der Bau der Altenpflegeeinrichtungen wird für Ruhe in vielen Stadtteilen sorgen, ach, ich meine, Tempo 30! Aber lass gut sein Hugo, meistens kommt es sowieso anders als man denkt. Eigentlich solltest Du mir heute den Kaffee ausgeben, vergiss dass nicht beim nächsten Mal!

Das hast Du gesagt, habe ich dem zugestimmt? Lachend lässt Hugo Harry am Tisch zurück und verschwindet aus dem Café, nicht ohne laut „Tschüss“ zu rufen.

Harry denkt, ist ihm ein Auftrag flöten gegangen, er ist doch sonst nicht so?